Es schreit „Hilfe“, aber niemand hilft.
Es schreit „Du da!“, aber niemand ist ‚du da‘.
Es schreit „Notfall“, aber nicht in ihren Augen.
Es schreit „Sterbe!“.
Und abends auf dem Sofa, die Alten und die Jungen starren
entsetzt auf den Fernseher.
Die Frau in rosaroter Bluse erzählt von einem
Mädchen, unserm‘ Mädchen.
Es starb auf der Straße unter tausenden von Menschen,
die hätten helfen können.
Aber was wichtig war musste man erledigen, denn was
du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen und weil heute noch
was ansteht, sonst wird es zu spät.
Und da war der Eintopf für den Mittag vielleicht wichtiger
als das sterbende Kind.
Denn es war viel zu tun, zu viel zu tun und Zeit ist
Geld, ja Zeit ist Geld. Zeit ist Geld … und weil Zeit Geld ist will jeder alles
noch heute besorgen, denn was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht
auf morgen, weil Zeit Geld ist und Geld Zeit ist und alles nur für Große
sinnvoll ist und richtig!
Und das sterbende Kind, es liegt auf der Straße, ganz allein
und es schreit sich die Seele aus dem Leib, aber doch nicht über Zeit und Geld
und über was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.
Die Leute sagen: Kinder schreien immer – wie nervig! Tag und
Nacht.
Aber… hast du die Wunden nicht gesehen? Hast du die
Verzweiflung nicht gesehen? Hast du die Angst nicht gesehen?
Papperlapapp!
Und da war das kaputte Fenster vielleicht wichtiger als das
sterbende Kind.
Und die, die nichts hören wollen, stellen vielleicht den
Fernseher lauter, denn ihre Probleme sind eh viel wichtiger.
Die Frau, die sich
geschnitten hat und der Sohn mit der Note drei in Deutsch. Aber wahrscheinlich
sind der Schnitt und die Note wichtiger als das sterbende Kind.
„Ist nicht unser Kind, soll es machen, zu was es bestimmt.“
Aber da ist keine Bestimmung. Da ist keine Zukunft.
Denn mit ‚was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht
auf morgen‘ und ‚Zeit ist Geld, Geld ist Zeit‘ kann sie nichts mehr anfangen.
Und
weil die Menschen ihre Zeit zu Geld gemacht haben und weil sie das, was sie
besorgen mussten, nicht auf morgen verschoben, essen sie jetzt vom Feinsten.
Und weil das Kind nur geliebt werden wollte, liegt es im Dreck.
Das sterbende Kind, das sterbende Kind.
Ihr Vater macht es ebenso und damit geht’s ihm gut.
Doch
seine Tochter liegt auf der Straße, sie liegt dort in ihrem Blut.
Und während
es dämmert und sie sieht die Sonne untergehen, sie gibt ihm noch eine Sache zu
verstehen. Als Vater versagt, die Mutter war weg und das einz’ge Kind, es auf
der Straße verreckt. Doch da war der Kunde im Laden vielleicht wichtiger als
das sterbende Kind.
Und der Eintopf und das Fenster und die Noten und der
Schnitt.
Eine Umarmung oder ein Kuss? Das ist zu viel verlangt.
Denn
da waren der Eintopf, das Fenster, die Noten und der Schnitt vielleicht
wichtiger als das sterbende Kind.
Es schreit „Liebe mich“, aber er kann es nicht.
Es schreit „Vater“, aber er hört sie nicht.
Es schreit „Mama“, aber es ist nur ein fremdes Wort.
Welche der Frauen soll das schon sein? Die Hebamme, die die
es austrägt oder die Erzieherin?
Und da war die Suche nach der Bedeutung vielleicht wichtiger
als das sterbende Kind.
Und deswegen erliegt das sterbende Kind – auf der Suche
nach ein wenig Liebe!